Durchhaltewillen oder Unvernunft?
Nach einer Woche Abstand hier nun mein Bericht über mein persönliches Auf und Ab beim diesjährigen Rennsteiglauf. Nachdem ich bisher 4x den kleinen (also den normalen Marathon) von Neuhaus aus gelaufen war, sollte es dieses Jahr also zum ersten Mal der lange Kanten werden. Vorbereitung war insgesamt für meine Verhältnisse normal, der große Kilometerfresser bin ich ja nie. Immerhin hatte ich schon drei Marathons dieses Jahr hinter mir und zuletzt insgesamt 36km beim MainCityRun in Schweinfurt gesammelt. Allerdings war ich in den drei Wochen seitdem gar nicht mehr gelaufen. Was mir in der Woche vor dem Rennsteig allerdings kurzfristig mehr Sorgen machte, war das leichte Kratzen in Nase und Hals, welches ich morgens teilweise gespürt hatte. Hoffentlich hatte ich mir nicht auch (wie mein Sohn) am Wochenende vorher doch einen kleinen Schnupfen eingefangen.
Am Freitag war davon allerdings nichts zu spüren und so machte ich mich am späten Nachmittag auf den Weg gen Schmiedefeld bzw. Vesser, wo ich mich für die Gemeinschaftsunterkunft im Offenstall angemeldet hatte. Ich wollte dieses Jahr auch zum ersten Mal nach dem Lauf noch in Schmiedefeld bleiben und die legendäre Läuferparty miterleben. Die Unterkunft war schnell gefunden und bezogen. Frühstück für die Läufer, die nach Eisenach mussten, sollte es zwar unerwarteter Weise nicht geben („Die wollten immer nix.“), aber ich hatte mir für den Notfall ein paar Riegel eingesteckt, das sollte dann bis zur ersten Verpflegungsstelle reichen. Noch schnell das mitgebrachte Abendbrot verzehrt und dann noch ein Bierchen für die nötige Bettschwere besorgt, wenn schon diesmal keine Kloßparty am Vorabend. Dabei noch einen Läufer aus Hannover kennengelernt und noch nett unterhalten. Gegen 22:00 war dann aber Bettruhe angesagt. Und es war wirklich relativ ruhig in der Unterkunft, da hatte ich bei der Übernachtung in der Schule in Neuhaus schon mehr Unruhe während der Nacht erlebt.
Um kurz nach 2:00 ging es dann aber schon wieder raus aus dem Schlafsack, um 3:00 fuhr der Bus nach Eisenach unterhalb des Offenstalls ab. Nach der Ankunft in Eisenach (~5:00) erstmal zur Startnummernausgabe. Das war allerdings schnell erledigt und so blieb noch genügend Zeit für die mitgebrachten Riegel und etwas zu trinken und zur Vorbereitung auf den Lauf. Start pünktlich um 6:00 und nach den ersten paar hundert Metern ging es dann auch gleich in die ersten Steigungen. Aber das war ja klar, bis zum großen Inselsberg bei km 25,5 geht es bergauf, teilweise auch recht steil. Was aber auch klar war: heute wird es warm, bereits nach wenigen km war ich völlig durchgeschwitzt. Einen wirklichen Plan oder ein richtiges Ziel hatte ich mir vorher nicht überlegt. Wie auch beim Marathon wollte ich es langsam angehen lassen und vor allem an den Steigungen nicht zu viele Kräfte lassen und lieber dann gehen. Zeitlich müsste es eigentlich für sub 10h reichen, wenn es gut lief vielleicht in die Nähe der 9h, meine Marathonzeiten lagen am Rennsteig immer bei etwas über 4h.
So gingen die ersten km dahin, vorbei am Burschenschaftsdenkmal, dann noch mal ein Blick zurück auf die Wartburg, die km Zeiten lagen zwischen 6:15 und 7:30min, je nach bergauf Anteil. Die Verpflegungsstellen wurden von Anfang an zum reichlichen Trinken genutzt und auch ein Becher Schleim musste wenn angeboten natürlich sein. Obwohl man doch eigentlich durch den Wald lief, waren auch immer wieder größere Abschnitte in der Sonne zurückzulegen, ich hätte mir doch eine Kopfbedeckung mitnehmen sollen. Das letzte Stück zum Inselsberg war wirklich steil, aber genauso schlimm und anstrengend empfand ich den dann folgenden steilen Abstieg. Spätestens da war mir klar, ganz einfach wird das heute nicht. Irgendwie fühlte ich mich bereits ziemlich schlapp, wobei es gar nicht mal schwere Beine oder müde Füße waren. Doch was von der Erkältung abbekommen? Aber erstmal ging es weiter. 30 km, oh weh, noch ein Marathon. Dann das Schild bei km 37: „Die Hälfte ist geschafft!“, puh, noch mal so viel. Mir kam es jetzt schon so vor, dass ich mehr wandere als laufe. An den Verpflegungspunkten wurde ausgiebig pausiert und sich mit verschiedenen Dingen gestärkt: Wasser (auch zum Abkühlen über den Kopf), Tee, Cola, Wienerle, Knacker,… und natürlich Schleim. Bis zum Grenzadler wirst du schon kommen.
Irgendwie ging es dann auch wieder, auch wenn die km-Zeiten bei Geheinlagen teilweise bei 10min oder mehr lagen. Zwischenzeitlich hatte es sich auch immer mal wieder etwas bewölkt und die Sonne brannte nicht mehr ganz so herunter. Am Grenzadler wieder etwas längere Pause und zur Stärkung eine Brühe, aber erstmal doch kein Gedanke an einen Ausstieg. Kurz darauf näherte sich von hinten ein Läufer mit den Worten „Aha, noch ein Mittelfranke!“ (ich habe meinen Wohnort auf meinem Laufshirt stehen). Das war für die nächsten km meine Rettung. Wir unterhielten uns zunächst über die DSGVO (ja, wirklich) um dann aber doch beim Thema Läufe und Lauferfahrungen zu landen. Wie sich herausstellte, waren wir so einige Strecken, vor allem im fränkischen Raum, beide schon gelaufen. So verging km um km, entweder im lockeren Trab oder zügig gehend, wenn es wieder etwas mehr bergauf ging. Den nächsten Höhepunkt, den großen Beerberg bei km 61,6, den höchsten Punkt des Rennsteigs, hätte ich völlig unbemerkt überlaufen, wenn mich mein Begleiter nicht darauf und das am Wegesrand stehende Schild aufmerksam gemacht hätte. Danach kam dann irgendwann ein längeres Stück in der nun wieder scheinenden Sonne und plötzlich merkte ich, wie mein Kreislauf begann mir etwas Probleme zu machen. Ich sagte, ich müsste mal etwas langsamer machen und ließ meine Laufbegleitung ziehen. Obwohl ich immer langsamer wurde, ließ das leichte Schwindelgefühl nicht nach und die Hände fingen leicht an zu kribbeln. Irgendwann musste doch demnächst mal wieder ein Verpflegungsstelle kommen. Immer langsamer schleppte ich mich fast schon dahin, eine vorbeikommende Läuferin spendierte mir ein paar Schlucke Wasser aus ihrem Trinkrucksack.
Und dann, nach gefühlt sehr langer Zeit, kam die Verpflegungsstelle Schmücke in Sicht. Erst mal an der Wasserschüssel abgekühlt, dann was zu trinken und etwas zu essen. Es gelang mir kaum, das Brot zu fassen. Zitternd und mit starkem Kribbeln in den Händen saß ich zunächst da. Ein anderer Läufer bot mir an, eine Bank auf die Wiese zu stellen, damit ich meine Beine hochlegen konnte. So lag ich dann zunächst einige Minuten, bis zumindest das Kribbeln nachließ. Ich schwankte innerlich zwischen „geh rüber zu den Sanis und geb auf, das hat keinen Sinn mehr“ und „komm, nur noch 8-9km, das muss doch noch zu schaffen sein“, fast schon ein wenig verzweifelt. Ein DNF hatte ich bislang noch nicht in meinen Ergebnissen, aber irgendwann muss es ja mal passieren. Erstmal wieder hinsetzen, immer noch leicht zitternd. Noch mal zum Verpflegungsstand, Cola und ein Nutella-Brot. Langsam wurde es wieder besser, aufstehen, ein paar Schritte gehen, noch was trinken. OK, könnte wieder gehen. Mit einem weiteren Becher Cola und einem Becher Schleim machte ich mich dann wieder auf den Weg. Kurz darauf vermeldete meine Uhr einen abgeschlossenen km: über 33min für den letzten! Aber es ging wieder weiter, ich konnte im weiteren Verlauf sogar wieder längere Stücke locker traben. Und es ging ja jetzt hauptsächlich bergab. Das 70km-Schild, dann 73, Schmiedefeld, der Zielkanal, im Ziel, geschafft! Schon lange nicht mehr so glücklich und erleichtert gewesen ins Ziel zu kommen. Zielzeit 10:52h, egal. Kurze Pause auf der Kleiderbeutelwiese, kurze Meldung an zu Hause, Finisher-Shirt und Urkunde abgeholt, dann zum Duschen. Danach mit dem Läuferbier und einer Bratwurst auf dem Sportplatz niedergelassen. Geschafft, durchgekommen, durchgekämpft.
Jetzt noch zur Läuferparty? Na ja, mal schauen. Auf jeden Fall noch mal ins Zelt und noch was zu essen und zu trinken besorgen. Die Stimmung war schon gut, also erst mal ein wenig im Zelt rumgelaufen und ein schönes Eckchen gesucht, war natürlich schon alles voll. Aber auch wenn man alleine auf die Party geht, man ist nicht lange alleine. Und so wurde ich von ein paar Läufern aus dem Harz schon kurz drauf mit auf die Bierbank zum Mitschunkeln geholt. Also doch noch ein wenig Party machen. Aber so gegen 21:00 setzte sich dann doch so langsam die Müdigkeit durch und ich machte mich auf den Rückweg nach Vesser, was erstaunlich gut ging. Dort angekommen ging es dann aber gleich zur Nachtruhe, allerdings merkte ich da schon, dass sich die Erkältung jetzt mit zunehmend laufender Nase ankündigte und durchzusetzen begann. Am nächsten Morgen nach einem guten Frühstück gleich auf den Weg nach Hause gemacht, zum Glück nur ~130km. Die Erkältung hatte mich jetzt eindeutig erwischt, einschließlich leicht erhöhter Temperatur.
Fazit: Lauftechnisch keinerlei Nachwehen, kein Muskelkater, keine Blasen gelaufen, selbst an meinen üblichen Problem-Zehen zeigten sich keine Anzeichen etwa von blauen Fußnägeln, wie sonst gerne mal. Soweit alles super. Dafür die nächsten beiden Tagen erstmal mit Erkältung größtenteils flachgelegen, so langsam ist sie jetzt nach einer Woche wieder abgeklungen. Aber den Supermarathon werde ich auf jeden Fall mal wieder in Angriff nehmen, die Anfangs genannten Ziele sollten machbar sein.